Initiative Matiullah

Organisation


Was geschah mit Matiullah?


Am 13. April 2018 wurde Matiullah Jabarkhel in Fulda zwei Straßen entfernt von dem Flüchtlingslager, in dem er wohnte, von einem Polizisten erschossen. Fünf Polizisten war es nicht möglich einen jungen Mann, ohne ihn zu töten festzunehmen. Angeblich aus Notwehr wurden 12 Schüsse aus nur einer Waffe abgegeben – von vier Schüssen wurde er getroffen und starb durch Verbluten. Was war geschehen?

Chronologie der Ereignisse nach seinem Tod


Nur eine Woche nach Matiullahs Tod war der Polizist, der ihn erschossen hat, wieder im Dienst und dies obwohl die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren. Währenddessen wurde 2018 bekannt, dass der rechtsextreme Polizeiskandal in Hessen auch das Polizeipräsidium in Fulda betrifft. Im Januar 2019 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erstmals ein. Daraufhin tauchte ein Handyvideo von einem Augenzeugen auf – selbst ein Polizeianwärter. Im März 2019 wurden die Ermittlungen daraufhin zum zweiten mal wieder aufgenommen. Im Handyvideo ist u.a. zu sehen wie Matiullah von den Polizist*innen wegläuft. Trotzdem wurden die Ermittlungen am 16.01.2020 abermals eingestellt und erst nach der erfolgreichen Beschwerde der Angehörigen des Verstorbenen im Sommer August 2020 zum dritten mal wieder aufgenommen und nun jedoch im Juli 2021 erneut eingestellt.

Matiullahs Gesundheitszustand

Derweil erfuhren wir bereits im April 2018 bei unserem ersten Besuch in Fulda von Matiullahs psychischen Problemen. Zunächst soll Matiullah unauffällig gewesen sein. Aber in den letzten Monaten vor seinem Tod war er häufig verwirrt, hat mit sich selbst gesprochen, geschimpft, seinen Kopf nachts gegen die Wand geschlagen und geschrien. Er litt an Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen und hat viel geweint. Matiullah versuchte in dieser Zeit auch Suizid zu begehen und griff andere Bewohner an. Bei den diesbezüglichen Polizeieinsätzen gab es keine Probleme. Matiullahs gesundheitlicher Zustand war nicht nur den Mitbewohner*innen in der Unterkunft, sondern auch den Sozialarbeitern und somit der Stadt bekannt. Offenbar ging es Matiullah nicht gut, doch niemand schien sich um ihn gekümmert zu haben. Dementsprechend wurde nichts unternommen, außer ihn in ein Einzelzimmer zu stecken und ihn zu einer „freiwilligen Rückkehr“ zu bewegen, der er kurz vor seinem Tod zustimmte. Dabei war noch eine Klage gegen die Entscheidung in seinem Asylverfahren anhängig und er hätte aufgrund seines psychischen Zustands auch ein Abschiebeverbot erhalten müssen.

Für die Familie stellt sich die Frage, warum niemand Rücksicht auf Matiullahs gesundheitlichen Zustand genommen hat, obwohl dieser bereits allgemein bekannt und somit kein Geheimnis war. Für uns zeigt der Fall die Gewalt des deutschen Asylsystems, Perspektivlosigkeit, Lagerzwang und struktureller Rassismus setzten Asylsuchende erheblichem Stress aus und müssen als Teil einer Strategie der grausamen Abschreckung verstanden werden.

Die Todesnacht

In der Todesnacht, Schlug Matiullah wieder seinen Kopf gegen die Wand und schrie und schimpfte. Nach der Auseinandersetzung mit den Hilfspolizisten vor der Bäckerei lief er letztendlich weg vor ihnen. Bis zuletzt konnten Widersprüche in den Angaben der beteiligten Polizist*innen nicht aufgelöst werden und auf dem Video stellt sich Matiullahs Verhalten wesentlich passiver dar, als geschildert. Das Vorgehen der Polizei im Umgang mit Matiullah wirkt höchst unprofessionell. Die angebliche Notwehrlage des Todesschützen so scheint es uns wurde durch den Polizisten selbst mit herbeigeführt, die einzige Augenzeugin der Todesschüsse macht zudem andere Angaben zum Verlauf als der Schütze selbst. Wieso hat ein einzelner Polizist versucht den weglaufendem Matiullah zu stellen, anstatt auf Verstärkung zu warten und die Situation zu deeskalieren – schließlich war um diese Uhrzeit frühmorgens niemand auf der Straße in der ohnehin wenig frequentierten Gegend. Das Polizeipräsidium ist mit dem Auto gerade mal drei Minuten im normalen Fahrtempo entfernt. Warum wurde nicht Verstärkung geholt, wenn die Situation so gefährlich war und warum konnten fünf Polizisten einen 1,70m großen und 60kg schweren jungen Mann nicht einfach fixieren?

Aktuell

Wir haben uns aus formal-rechtlichen Gründen gegen eine weitere Verfolgung der Beschwerde gegen die abermalige Einstellung der Ermittlungen entschieden, weil die zum jetzigen Zeitpunkt nachträglich noch möglichen Ermittlungen eine Aufklärung nicht ermöglichen würden. Auch wenn die Strafermittlungen gegen den Todesschützen formal juristisch nun abgeschlossen sind, ist das Geschehen für uns nicht aufgeklärt. Insbesondere bestehen noch offene Fragen über den Ablauf des polizeilichen Einsatzes. Zumindest einen Teil dieser Unklarheiten – und auch die Länge des Verfahrens – haben Polizei und Staatsanwaltschaft wegen aus unserer Sicht unzureichenden Ermittlungen zu Beginn zu verantworten. So wurde der Tatort beispielsweise nicht ausreichend gegen den einsetzenden Regen nach der Tat gesichert und es wurden Gutachten nicht durchgeführt, die für eine genaue Ermittlung der Todesumstände vonnöten gewesen wären. Wir kritisieren daher schlampige Beweissicherung und die schleppenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Fulda. Das Ziel des Bruders den Tod von Matiullah aufzuklären ist damit noch nicht erreicht. Aus diesem Grund lassen wir aktuell auch verwaltungsrechtliche Schritte prüfen, um weiter Licht ins Dunkel zu bringen.

Forderungen

Für uns ist der Fall noch immer nicht aufgeklärt und wir unterstützen die Angehörigen in Afghanistan weiterhin dabei mit rechtlichen Mitteln für eine lückenlose Aufklärung zu kämpfen. Gemeinsam halten wir die Erinnerung an Matiullah wach und fordern Gerechtigkeit für ihn. Wir fordern ein Denkmal für Matiullah an der Todesstelle und sehen die Stadt Fulda in der Verantwortung ein solches Denkmal zu errichten. Anstatt den Fall aufzuklären, belegen Polizei und Justiz, diejenigen, die eine Aufklärung fordern und das Erinnern an Matiullah wach halten, mit unverhältnismäßiger Repression. So gab es insgesamt sechs Anzeigen nach der Demonstration zum 1.Todestag in Fulda, mit mittlerweile zwei verhängten Geldstrafen.

26.8.2021, INITIATIVE IN GEDENKEN AN MATIULLAH

Mit Matiullahs Nachlass waren wir Teil der Stadtlabor-Ausstellung „Ich sehe was, was Du nicht siehst. Rassismus, Widerstand und Empowerment“ vom 1. Oktober 2020 – 28. März 2021 im Historischen Museum in Frankfurt. Online kann man die Ausstellung noch besuchen.

Für Rückkehr Watch haben wir zudem einen Beitrag über Matiullah geschrieben.

Zum 5. Todestag von Maitullah wurde auf Eigeninitiative ein Gedenkstein am Todesort Glenn-Miller-Straße Ecke Eisenhowerstraße in Fulda errichtet.